Es ist Markttag. Wie so ziemlich jeder Tag in Ohrid. Beginnend am typischen Gemüsemarkt, zieht sich der Bazar über die Shoppingstraße bis zum Hauptplatz vor dem Hafen. Ein kleiner Bazar verglichen mit anderen Städten. Morgens halb zehn auf dem Gemüsemarkt: halbstarke Jungs stopfen Kohlköpfe so groß wie Medizinbälle in die Einkaufssäcke ihrer Kunden. Andere schultern Lauchstangen so lang wie ein vierjähriges Kleinkind und schieben sich durch das Gedränge der Marktgassen. Ein paar Meter weiter kauern alte Frauen auf ihren Schemeln, vor ihnen ausgebreitet liegen getrocknete Kräuter auf einem Pappkarton. Bei einer von ihnen kaufe ich mir die mazedonischen Kräuter, aus denen Kapitän Zoran mir an meinem ersten Tag einen Tee gebrüht hatte.
Neben mir huscht ein Fahrradfahrer vorbei – eine Hand am Lenker, in der anderen hält er ein Tablett. Etwas weiter hinten radelt noch einer. Kellner auf Rädern, ein seltsamer Anblick. Sie kommen alle aus der Teestube an der türkischen Straße. Mir wird gesagt, sie liefern ihren starken Chai überall hin: nach Hause, an die Marktstände und sogar in andere Restaurant, in denen es sonst keinen Tee gibt. Drinnen in der stickigen Teestube sitzen nur Männer, nippen an ihren feinen, orientalischen Teegläsern, diskutieren angeregt, lesen Zeitung, vergessen die Zeit. Die einzigen teetrinkenden Frauen, die ich sehe, verteilen sich an die vier Tischen auf der Straße. Teestuben sind für Männer reserviert.
Die Hauptbazarstraße (Kliment Ochidski) – eine moderne Shoppingmeile – geht direkt in die türkische Straße über. Trotzdem sind sie einfach voneinander zu unterscheiden: Auf der renovierten Bazarstraße glänzen die marmorfarbenen Bodenplatten im Licht, auf der türkische Straße nicht. Auf der Bazarstraße leuchten die großen Schaufenster und Imitate von Gucci und Vuitton springen einen ins Auge, auf der türkischen Straße nicht. Die Bazarstraße erinnert an Disneyland, die türkische Straße an eine dreckige Gasse in Berlin Kreuzberg. Verfallene Hauser, zerbrochene und rissige Steinplatten, kleine, dunkle Schaufenster und Kebab-Buden reihen an den Straßenseiten. Das Essen hier ist Halal. Neben der Teestube sind drei gleiche Restaurants. Ich entscheide mich für das Mittlere.
Als einziger Gast darf ich mir das Fernsehprogramm selber wählen und bekomme noch ein paar Ausflugstipps dazu serviert. Der Wirt schickt mich zum Kloster Sv. Naum – etwa eine Stunde von Ohrid entfernt, direkt an der Grenze zu Albanien. Das UNESCO-Welterbe ist ein weiteres Postkartenmotiv auf meiner Reise. Natürlich gibt es am nächsten Morgen um 9:00 Uhr noch keinen Bus; an der Haltestelle hängt noch der Sommerfahrplan. Ein Taxifahrer nimmt mich mit. Und weil sein Bruder in Hannover wohnt, bekomme ich als geborenen Braunschweigerin einen Spezialpreis: 10 Euro für die 30 Kilometer bis zum Kloster (eine Fahrt zum 10 Minuten entfernten Flughafen kostet das Selbe).
Die Straße schlängelt sich durch die herbstliche Landschaft: Rechts der Ohridsee, links die Berge des Galicica Nationalparks. Jedes Dorf, das wir passieren, scheint seine eigene Touristenattraktion zu haben. So zum Beispiel der Ort Trpejca: vielen bekannt als das St. Tropez am Ohridsee und eine der besten Fischadressen in der Gegend. Nach 45 Minuten hält das Taxi auf einem Parkplatz vor einem großen Steintor. Kein Mensch in Sicht. Hinter dem Tor reihen sich an der linken Seite Bretterbude an Bretterbude. Alle ganz neu. Alle geschlossen. Nur vereinzelte Schilder weisen darauf hin, dass es sich um Souvenirshops handelt. Alleine laufe ich den geraden Weg entlang bis zum Kloster. Meine Begegnungen beschränken sich auf putzende Mitarbeiter des Klosterhotels, einem Grenzoffizier und vier Pfauen. Eindeutig: Die Touristensaison ist vorbei. Und dann fällt der erste Schneeregen.
In der guten Stube meiner Herbergsfamilie wärme ich mich wieder auf. Bei einer Tasse Tee und Keksen dreht sich das Gespräch um Liebe, Politik und Tourismus. Worum auch sonst? So kamen zwar deutsche Flüchtligshelfer zur Balkanroute nach Skopje und retteten Leben, zerbrachen bei ihrer Heimreise dann jedoch Herzen. So studieren Mazedonier zwar Jura und Korruptionskriminologie, finden aber keinen Job in ihrem Studienfach, wenn sie keiner oder der falschen Partei angehören (Ironie des Schicksals). Und so haben auch die Mazedonier ihre Lieblingstouristen: zivilisierte Polen und Senioren aus den Niederlanden. Sowie ihre Hasstouristen: laute, wilde Türken. Und Deutsche kommen wohl eher selten.
Warum ich wiederkomme nach Ohrid? Weil ich es in meinen drei Tagen nicht geschafft habe, ein typisches Frühstück zu essen: eine große Portion Suppe mit viel Fleisch (es stimmt nämlich nicht, wenn man teilweise liest, dass es in Ohrids Restaurants kein Frühstück gäbe – es könnte halt einfach auch für ein Mittagessen missverstanden werden).