„Ich spüre meine Finger nicht mehr“. Es war kalt. Zu kalt für einen gemütlichen Sightseeingtrip durch Prag. Wir verbrachten also mehr Zeit im Inneren von Art Deco Kaffeehäusern und Hipster Cafés als draußen auf den prachtvollen Straßen und Plätzen. Doch was solls. Meine Freundin und ich hatten uns lange nicht gesehen und sind extra aus zwei verschiedenen Städten für ein Wochenende nach Prag angereist. Es gab also viel zu erzählen. Und das macht sich eh besser im behaglichen Warmen bei Kaffee und Palatschinken.
In der Kälte
Auch für andere Urlauber was es wohl zu kalt, dachten wir anfangs. Wir begegneten keinem einzigen Reisenden. Stundenlang. Zu viele Touristen in Prag? Auf keinen Fall! Im aufstrebenden Künstlerviertel Holešovice war nicht viel los. Oft standen wir vor verschlossenen Türen. Und hätten die Häuser keine Hausnummern gehabt, wir hätten nicht mal sicher sein können, dass wir vor dem richtigen Laden standen. Nichts wies darauf hin, dass sich hinter diesen dunklen, heruntergekommenen Mauern einer Fabrik ein Kunstatelier und Ausstellungsort für junge tschechische Designer Lables verbirgt.
Eindeutig: Holešovice hielt Winterschlaf. Bei der letzten Adresse auf unserer langen „To See-Liste in Holešovice“ hatten wir doch noch Glück. Ehe unsere Finger ganz abfroren, traten wir ein ins Vnitroblock. Ein Café, Kulturzentrum und Signature Store. Wieder eine alte Fabrik. Aber diesmal top saniert. Wir standen in einer lichtdurchfluteten, weiträumigen Halle mit Vintage-Möbeln und Shop-im-Café. Es duftete nach Kaffee und gutem Essen.
Über den Dächern
Bevor wir uns in die engen und verworrenen Gassen der Altstadt begaben, wollten wir uns erstmal einen Überblick von oben verschaffen. So ziemlich jeder Reiseführer rät: man muss mindesten einen Turm in Prag erklimmen, um eine gute Aussicht über die Stadt zu erhaschen. Wir entschieden uns gegen einen Turm. Und für einen Hügel mit Reiterstandbild. Den hatten wir schon von unten gesehen und nun marschierten wir schnurstracks drauflos.
Plötzlich befanden wir uns zwischen Joggern und tschechischen Familien bei ihrem Sonntagsspaziergang. Wir waren im Vítkov Park. Unser Ziel, das Nationaldenkmal mit der Reiterstatue von Jan Žižka. Auf der Touristischen Landkarte nicht verzeichnet. Und trotzdem: Die Aussicht war perfekt. Wenn da der Nebel nicht gewesen wäre. Hier befindet sich übrigens auch das Nationalmuseum; das Café im obersten Stock hat echt einen super Panoramablick. Nur leider zur falschen Seite der Stadt.
Sehen wollten wir einen Turm aber dann doch von nahem. Und zwar denen skurrilen Žižkover Fernsehturm mit den hochkrabbelnden Babys. Wir liefen durch Straßen, die an den Berliner Prenzlauer Berg von vor 15 Jahren erinnerten. Ein Gründerzeit Mietshaus neben dem anderen. Mal saniert. Mal runtergekommen. Alte und neue Autos hoppelten über das Kopfsteinpflaster. Prag war schön. Und so ruhig. Wir schlenderten weiter vom Fernsehturm zu einem der bedeutendsten böhmischen Sakralbauten des 20. Jahrhunderts, der Herz-Jesu-Kirche. Und dann zur Krymská Straße. Dem Kreuzberg von Prag.
Aber eher einem verschlafenen Kreuzberg nach der Ausgangsperre. Völlig ausgestorben. Die Cafés, die wir suchten, waren entweder geschlossen, verbarrikadiert oder nicht aufzufinden. Nein, hier in den hippen Bezirken von Prag war wahrhaftig nicht viel los zu dieser Jahreszeit. Wie es wohl in der Altstadt aussah?
Auf der Brücke
Nach der Karlsbrücke mussten wir nicht lange suchen. Man kann sie nicht verfehlen. Eine scheinbar nicht abreißende Menschenkette führt vom Rathaus bis zur Brücke. Eine mehrspurige Touristen-Autobahn. Links und rechts Läden, ein Schaufenster bunter dekoriert und heller erleuchtet als das andere. Und dann standen wir vor ihr: der prachtvollen Karlsbrücke. Klar, einmal mussten wir sie überqueren. Also reihten wir uns ein und marschierten im Gänsemarsch mit Spaniern, Japanern und Engländern zum anderen Ufer. Und wieder zurück.
Mit dem Rest der Altstadt verhielt es sich ähnlich. Es war zwar nirgends so voll wie zwischen Karlsbrücke und der Astronomischen Aposteluhr beim Rathausplatz, aber der Kontrast zwischen den belebten Gassen der Altstadt und den menschenleeren Straßen der Randviertel war deutlich zu spüren. Ich möchte gar nicht wissen, wie voll es hier in der Hochsaison ist. Fazit: für eine Besichtigung der Altstadt ist der Winter eine perfekte Jahreszeit. Um jedoch die angrenzenden Bezirke voller Leben zu spüren, eignet sich wohl eher ein Besuch im Sommer.